Der Einsatz von Lock-ups (dt. Sperre) im Zusammenhang mit Token ist in der Praxis längst üblich. Ihr Zweck ist es sicherzustellen, dass Erwerber erhaltene Token nicht unmittelbar nach Erhalt wieder veräußern. Hierdurch sollen Kursschwankungen der Token verhindert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass hierdurch ein Zufluss von sog. „Dry Income“ verhindert werden kann.
Die ertragsteuerliche Behandlung von sog. technischen Lock-ups ist jedoch bis heute ungeklärt. Dies gilt insbesondere für die Auswirkungen des technischen Lock-ups auf den maßgeblichen Besteuerungszeitpunkt (Zufluss nach § 11 EStG sowie die Spekulationsfrist des § 23 EStG), nach deren Ablauf eine Veräußerung aus dem Privatvermögen steuerfrei möglich ist. Das BMF (Bundesfinanzministerium) äußerte sich in seinem Schreiben vom 10. Mai 2022 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Token nicht zu der steuerlichen Wirkung von Lock-ups.
Grundsatz: Besteuerungszeitpunkt bei Krypto-Token
Krypto-Token sind im Privatvermögen des Steuerpflichtigen steuerlich in dem Zeitpunkt zu erfassen, in welchem sie ihm im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 EStG zufließen.
Nach Ansicht des BMF fließen einem Steuerpflichtigen Token regelmäßig im Zeitpunkt der Einbuchung in die Wallet zu. Frühestens erfolge der Zufluss jedoch zu dem Zeitpunkt, in welchem ein Handel mit Token möglich sei. Denn erst dann könne der Steuerpflichtige wirtschaftlich über die Token verfügen.
Zudem schwanken Token zum Teil stark im Wert (sog. Volatilität). Der steuerliche Zufluss markiert den maßgeblichen Zeitpunkt, in welchem der Wert der Token für Steuerzwecke zu bestimmen ist.
Grundsatz: Spekulationsfrist bei Krypto-Token und ihre Folgen
Für das Halten von Token im Privatvermögen gilt die einjährige Spekulationsfrist (oder auch Haltefrist). Nach Ansicht des BMF stellen Krypto-Token sonstige Wirtschaftsgüter im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG dar. Infolgedessen können die Token steuerfrei verkauft werden, wenn diese länger als ein Jahr von dem Steuerpflichtigen gehalten wurden.
Auswirkungen eines technischen Lock-ups auf den Zufluss
Ein technischer Lock-up in der Wallet macht jegliche Verfügung über die darin befindlichen Token für eine bestimmte Zeit unmöglich.
Die Token werden somit zwar in die Wallet des Steuerpflichtigen eingebucht, er kann jedoch rein technisch nicht mit ihnen handeln. Nach hier vertretener Auffassung dürften die Token dem Steuerpflichtigen erst dann steuerlich zufließen, wenn der technische Lock-up entfernt wird und das Handeln mit den Token tatsächlich möglich wird.
Die Folge: Mittels eines technischen Lock-ups könnte aktiv auf den Zeitpunkt des steuerlichen Zuflusses Einfluss genommen werden.
Im Kontrast hierzu stehen sog. „schuldrechtliche Lock-ups“: Im Rahmen eines solchen Lock-ups verpflichtet sich der Steuerpflichtige vertraglich, die gewährten Token nicht zu verkaufen. Faktisch können die Token jedoch weiterhin gehandelt werden. Entsprechend dürften die Token in diesem Fall bereits mit Einbuchung in die Wallet ertragsteuerlich zugeflossen sein.
Auswirkungen eines technischen Lock-ups auf die Spekulationsfrist
Auf den Beginn der Spekulationsfrist dürfte sich der technische Lock-up nicht auswirken. Denn diese setzt gerade nicht den ertragsteuerlichen Zufluss der Token voraus. Die Frist beginnt (und endet) somit unabhängig von der Wirkung des technischen Lock-ups nach den oben beschriebenen Grundsätzen.
Die Folge: Durch die Verwendung eines technischen Lock-ups kann der Besteuerungszeitpunkt hinsichtlich der Token beeinflusst werden, ohne hierdurch die Spekulationsfrist zulasten des Steuerpflichtigen zu verlängern.