Aufgrund der geschätzten Steuermindereinnahmen in Höhe eines hohen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrags hat der Gesetzgeber den seit der Körperschaftsteuerreform 2001 praktizierten Cum-Cum-Geschäften mit Einführung des neuen § 36a EStG (mit Rückwirkung zum 1.1.2016) einen Riegel vorgeschoben. Die zahlreichen Altfälle beschäftigen jedoch weiterhin die Finanzverwaltung und verstärkt auch die Justiz, die nun ihr erstes diesbezügliches Urteil gefällt hat. Die Bedeutung des Urteils (und der zu erwartenden BFH-Entscheidung über die vom FG zugelassenen Revision) geht weit über die Beurteilung der Cum-Cum-Geschäfte hinaus, betrifft sie doch grundlegende Fragen der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums und der Voraussetzungen für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs, die sich bei verschiedenartigen, (auch) der Erzielung von Steuervorteilen dienenden Gestaltungen regelmäßig stellen.
Die in den Jahren 2001 bis 2016 im großen Stil praktizierten Cum-Cum-Geschäfte gingen auf die steuerliche Ungleichbehandlung von beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen beim Dividendenbezug aus deutschen Aktien zurück. Steuerinländer waren gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG grundsätzlich zur Anrechnung bzw. Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer berechtigt. Dagegen hatte der Kapitalertragsteuereinbehalt bei beschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG eine abgeltende Wirkung und führte damit zu einer effektiven Steuerbelastung der Portfoliodividendeneinnahmen in dieser Höhe. Das galt nur dann nicht, wenn sich eine Ermäßigung auf 15 % aus dem Dividendenartikel des einschlägigen DBA ergab.
Zur Vermeidung der Ungleichbehandlung wurden sog. Cum-Cum-Geschäfte getätigt, d. h. die Aktien wurden kurz vor dem Dividendenstichtag von Steuerausländern auf deutsche Steuerresidenten (meist Kreditinstitute) übertragen. Größtenteils geschah dies mittels Wertpapierleihe oder Wertpapierpensionsgeschäft. Gelegentlich veräußerten die ausländischen Steuerresidenten aber auch die Wertpapiere und es war ein anschließender Rückerwerb vorgesehen. Dabei sahen die Verträge regelmäßig Sicherungsgeschäfte vor, so dass die Kursrisiken während ihrer (relativ kurzen) Inhaberschaft nicht das betreffende deutsche Kreditinstitut, sondern (im Ergebnis) weiterhin der Steuerausländer trug.
Durch die Vereinnahmung der Dividenden durch das deutsche Kreditinstitut sollte eine Anrechnung bzw. Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer ermöglich werden, die dem ausländischen Aktieninhaber verwehrt war. Bald nach dem Dividendenstichtag erfolgte die Aktienübertragung zurück an den ursprünglichen ausländischen Halter (bzw. er erhielt die artgleichen Aktien in derselben Stückzahl). Die Vertragsentgelte gestalteten sich so, dass im Ergebnis die ausländischen Aktieninhaber die Dividendenzahlung ohne Belastung mit der deutschen Kapitalertragsteuer vereinnahmten, wofür das beteiligte deutsche Kreditinstitut ein moderates Entgelt von ihnen erhielt. Viele Jahre liefen solche Cum-Cum-Geschäfte problemlos ab, da die Finanzverwaltung die von den beteiligten deutschen Kreditinstituten beantragte Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung anstandslos bewilligte. Später nahm jedoch die Finanzverwaltung einen kritischen Standpunkt ein, verweigerte vermehrt die beantragte Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung und qualifizierte schließlich Cum-Cum-Geschäfte in ihren verschiedenen Ausprägungen durch das BMF-Schreiben vom 17.7.2017 (s. BStBl. I 2017, 986) als Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO.
Das nun ergangene Urteil des FG Hessen stützt – entgegen der früher vorherrschenden Sichtweise in der Fachliteratur – die Auffassung der Finanzverwaltung und geht noch darüber hinaus. Das FG Hessen hat den von der Finanzverwaltung angenommenen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO nur als Hilfsgrund für die Versagung der beantragten Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung herangezogen. Primär stützt das FG sein Urteil darauf, dass das inländische Kreditinstitut zwar zivilrechtlicher, nicht jedoch wirtschaftlicher Eigentümer der ihm übertragenen Aktien geworden sei. Aufgrund des nicht übergegangenen wirtschaftlichen Eigentums seien die Aktien gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO trotz ihrer zivilrechtlichen Übertragung weiterhin dem ausländischen Inhaber zuzurechnen gewesen, der deswegen selbst die Dividendeneinnahmen erziele. Mangels eigener Dividendeneinnahmen sei dem deutschen Kreditinstitut die beantragte Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung zu versagen.
Die Beurteilung der Voraussetzungen des wirtschaftlichen Eigentums hängt wie auch die des Gestaltungsmissbrauchs stets von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Dies wird vom BFH in seiner ständigen Rechtsprechung unermüdlich betont. Vorliegend erscheint es jedoch im Allgemeinen zweifelhaft, dass das Urteil des FG Hessen beides zutreffend – und auch auf andere Cum-Cum-Geschäfte übertragbar – beurteilt. Denn zum einen wurde bei der meist hochprofessionellen Aufsetzung der Cum-Cum-Geschäfte im Regelfall darauf geachtet, dass die in der bisherigen BFH-Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an das wirtschaftliche Eigentum des beteiligten deutschen Kreditinstituts erfüllt werden. Zum anderen wurden Cum-Cum-Geschäfte jahrzehntelang häufig, großvolumig und meist aufgrund von standardisierten Rahmenverträgen durch nahezu die gesamte deutsche Bankbranche abgeschlossen. Das spricht gegen die in § 42 AO geforderte Unangemessenheit, zumal wiederum die Cum-Cum-Geschäfte motivierende Ungleichbehandlung der beschränkt und der unbeschränkt Steuerpflichtigen in Bezug auf die Dividendenbesteuerung systemwidrig erscheint.
Aufgrund der derzeitigen steuer- und rechtspolitischen Lage kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass der BFH – wenn auch dann wahrscheinlich anhand einer überzeugenderen Argumentation als das FG Hessen – die Kapitalertragsteuererstattung bzw. -anrechnung bei Cum-Cum-Geschäften ebenfalls versagt.