Europarechtswidrigkeit der deutschen Besteuerung von an ausländische Pensionsfonds gezahlten Streubesitzdividenden


Urteil des EuGH vom 13.11.2019 - C-641/17, dass die bis 2015 geltende deutsche Besteuerung von an Nicht-EU-Pensionsfonds gezahlten Streubesitzdividenden europarechtswidrig ist

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Die deutsche Finanzverwaltung ließ die – sich nach einigen Schätzungen auf mindestens mehrere Hundert Millionen Euro belaufenden – Anträge von ausländischen Pensionsfonds auf Kapitalertragsteuererstattung nach der Gesetzeslage von 2007 bis 2014 jahrelang unbearbeitet bzw. verweigerte die beantragte Erstattung. Die aktuelle EuGH-Entscheidung dürfte nicht nur die Steuererstattung an die antragstellenden Pensionsfonds erheblich beschleunigen, sondern auch die Aussichten auf eine Kapitalertragsteuererstattung wegen deutscher Streubesitzdividenden für weitere ausländische Akteure stark verbessern.

Auf Vorlage des FG München (Beschluss vom 23.10.2017 – 7 K 1435/15), das über die Klage eines kanadischen Pensionsfonds zu entscheiden hat, hat der EuGH die streitgegenständliche deutsche Besteuerung der Nicht-EU-Pensionsfonds für mit der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV unvereinbar erklärt. Diese Entscheidung erscheint auf den ersten Blick überraschend, erweist sich jedoch beim näheren Hinsehen als einzig richtig und konsequent. Die anfängliche Überraschung mag aufgrund der erst schwer zu erkennenden, für die Annahme einer Europarechtswidrigkeit notwendigen Ungleichbehandlung zwischen den betroffenen Steuerinländern und Steuerausländern entstehen. Denn sowohl für deutsche als auch für ausländische Pensionsfonds gilt zunächst der Kapitalertragsteuereinbehalt in Höhe von 25 % (zuzüglich Solidaritätszuschlag) der aus Deutschland bezogenen Dividenden. Bedenkt man, dass bei ausländischen Pensionsfonds regelmäßig aufgrund einer in den meisten deutschen DBA enthaltenen Regelung (im streitgegenständlichen Fall: Art. 10 Abs. 2 Buchst. b DBA Kanada) die ertragsteuerliche Belastung der Dividenden auf maximal 15 % begrenzt ist, während zugunsten der deutschen Pensionsfonds naturgemäß keine vergleichbare DBA-Entlastungsmöglichkeit besteht, könnte man auf die Idee kommen, dass ausländische Pensionsfonds, die deutsche Dividenden beziehen, gegenüber den deutschen Pensionsfonds eher privilegiert als diskriminiert werden; in diese Richtung ging in der Tat die Argumentation des deutschen BMF in dem EuGH-Verfahren.

Deutsche Pensionsfonds als unbeschränkt Steuerpflichtige werden jedoch zur Einkommensteuer in Deutschland veranlagt und sind in diesem Rahmen zur Anrechnung bzw. Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer berechtigt. Hierbei ist zu beachten, dass bei deutschen Pensionsfonds ihre nahezu gesamten Einnahmen der Erfüllung der künftigen Pensionsverpflichtungen dienen (müssen), so dass parallel zu jeder Einnahme eine steuerwirksame Rückstellung in praktisch derselben Höhe gebildet wird. Nimmt ein deutscher Pensionsfonds mit der Kapitalertragsteuer belastete Dividenden ein, erzielt er deshalb aufgrund der zu bildenden Rückstellungen trotz Dividendenbezugs (fast) keinen Gewinn und kann sich die einbehaltene Kapitalertragsteuer regelmäßig komplett erstatten lassen. Dagegen hat der Kapitalertragsteuereinbehalt bei nur beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Pensionsfonds gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG grundsätzlich eine abgeltende Wirkung; ausländische Pensionsfonds sind zu keiner Veranlagung in Deutschland berechtigt und bleiben daher – obwohl ihre Dividendeneinnahmen genauso wie bei deutschen Pensionsfonds der Erfüllung der künftigen Pensionsverpflichtungen dienen und deswegen wirtschaftlich keinen zu versteuernden Gewinn generieren – mit der einbehaltenen Kapitalertragsteuer endgültig belastet (bei regelmäßiger DBA-Reduktion auf 15 %). Der EuGH hat deswegen festgestellt, dass ausländische Pensionsfonds – anders als deutsche – keine Möglichkeit haben, die mit den Dividendeneinnahmen unmittelbar zusammenhängenden Betriebsausgaben (die Pensionsrückstellungen) geltend zu machen, und daher diskriminiert werden. Da er auch keine europarechtlich zulässige Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung – auch nicht aufgrund der sog. Stand-Still-Klausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV – angenommen hat, hat der EuGH einen Verstoß gegen die auch im Verhältnis zu EU-ausländischen Sachverhalten geltende Kapitalverkehrsfreiheit festgestellt.

Dieses Urteil des EuGH wird eine zentrale Bedeutung für viele Fragen des Europäischen Steuerrechts erlangen. Seine zahlreichen Aussagen, etwa zur Geltung der Stand-Still-Klausel oder zur – für die Annahme der Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Akteuren maßgeblichen – parallelen steuerlichen Berücksichtigung von Einnahmen und damit zusammenhängenden Betriebsausgaben, werden weit über den entschiedenen Sachverhalt hinaus ausstrahlen. Die Auswirkungen werden weder auf den streitgegenständlichen Staat (Deutschland) noch auf die Art der Steuerpflichtigen (Pensionsfonds) noch auf den Steuergegenstand (Dividenden) noch auf die Steuererhebungsform (Kapitalertragsteuer) beschränkt bleiben. Besonders naheliegend und schnell in der deutschen Steuerpraxis zu erwarten ist die Übertragung der Grundaussagen des EuGH-Urteils auf ausländische Unternehmen wie z. B. Lebens- und Krankenversicherungen, die ähnlich wie Pensionsfonds langfristige Versorgungsverpflichtungen haben und bei denen daher ebenfalls eine weitgehende Parallelität zwischen Einnahmen und steuerwirksamen Rückstellungen besteht. Denn auch diese Unternehmen investieren im großen Still in deutsche Aktien, und auch bei ihnen hat der Kapitalertragsteuereinbehalt regelmäßig eine abgeltende Wirkung, ohne dass die Möglichkeit einer Veranlagung in Deutschland besteht.