Der BFH hat mit Urteil vom 10. September 2020, IV R 14/18, entschieden, dass bei einer zeitgleichen Übertragung eines Mitunternehmeranteils nach § 6 Abs. 3 EStG und einer die stillen Reserven aufdeckenden Veräußerung von funktional wesentlichen Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens nur § 16 Abs. 3 S. 1 EStG (und nicht auch [parallel] § 6 Abs. 3 EStG) Anwendung findet, sodass (alle) stille Reserven durch die Übertragung(en) aufgedeckt werden.
In dem dem BFH Urteil vom 10. September 2020, IV R 14/18, zugrundeliegenden Sachverhalt, übertrug die Gesellschafterin der Besitzpersonengesellschaft ihren an jener Besitzpersonengesellschaft bestehenden Mitunternehmeranteil auf ihren Sohn im Wege der vorweggenommenen Erbfolge (§ 6 Abs. 3 S. 1 EStG). Zeitgleich veräußerte die Gesellschafterin funktional wesentliche Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens (I und II) (entgeltlich) an eine andere Person. Es stellte sich für den BFH die Frage, ob jenes Vorgehen von § 6 Abs. 3 S. 1 oder doch von § 16 Abs. 3 EStG erfasst ist. Damit § 6 Abs. 3 S. 1 EStG Anwendung findet, muss der Mitunternehmeranteil zusammen mit den funktional wesentlichen Wirtschaftsgütern/Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens übertragen werden.
Der BFH entschied, dass eine zeitgleiche Übertragung eines Mitunternehmeranteils gem. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG und eine zur Aufdeckung der stillen Reserven führende Veräußerung von funktional wesentlichen Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens nicht von § 6 Abs. 3 S. 1 EStG, sondern (vollumfänglich) von § 16 Abs. 3 EStG erfasst ist. Er präzisierte dabei seine vorherige Rechtsprechung von „taggleich“ hin zu „zeitgleich“: Maßgeblich für die Frage des vorhandenen und folglich i. S. v. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG vollständig mit zu übertragenden Betriebsvermögen, also ob (auch) funktional wesentliche Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens mitübertragen werden müssen, sei nicht der „Tag“, sondern der „Zeitpunkt“ der Übertragung; es sei mithin eine zeitpunkt- und keine zeitraumbezogene Prüfung vorzunehmen. Werden funktional wesentliche Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens unter Aufdeckung der stillen Reserven zeitgleich, also im selben Zeitpunkt wie die Übertragung eines Mitunternehmeranteils (auf eine andere Person) übertragen, werde nicht das Betriebsvermögen vollständig übertragen, sodass nicht § 6 Abs. 3 S. 1, sondern § 16 Abs. 3 EStG anzuwenden sei. Damit bestätigt der BFH die (neue) Auffassung der Finanzverwaltung (BMF, Schreiben vom 20. November 2019, BStBl. I 2019, 1291, Rz. 9). Gleiches gelte auch, wenn funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen zunächst zurückbehalten und dann zeitlich oder eine juristische Sekunde nach der Übertragung der Mitunternehmeranteils entnommen werde.
Der BFH eröffnet mit dieser zeitpunktbezogenen Prüfung Gestaltungsmöglichkeiten. Denn wie der BFH selbst ausführt, sind zur Aufdeckung der stillen Reserven führende Übertragungen von funktional wesentlichen Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens für die Anwendung des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG dann unschädlich, wenn sie [zumindest] eine juristische Sekunde vor der Übertragung eines Mitunternehmeranteils stattfinde; es sei streng auf die zeitliche Reihenfolge der Übertragungen abzustellen. Das taggleiche, nicht aber zeitgleiche (d. h. nicht im selben Zeitpunkt der Übertragung des Mitunternehmeranteils) Ausscheiden funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen unter Aufdeckung der in diesen befindlichen stillen Reserven vor der Übertragung des verbliebenen, verkleinerten Mitunternehmeranteils sei unschädlich. Zur Beantwortung der Frage, ob Übertragungen taggleich oder doch zeitgleich stattfinden, sei auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) abzustellen. Denkbar sind daher (Vertrags )Gestaltungen, in denen das wirtschaftliche Eigentum an funktional wesentlichen Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens taggleich, aber (stunden- /minuten- /[juristisch-] sekundengenau) vor der Übertragung eines Mitunternehmeranteils gem. § 6 Abs. 3 S. 1 EStG übertragen wird.
Der BFH stimmte bei seiner Argumentation auch der (neuen) Auffassung der Finanzverwaltung (BMF, Schreiben vom 20. November 2019, BStBl. I 2019, 1291, Rz. 10) zu, das eine zeitgleiche Übertragung eines Mitunternehmeranteils und eine die stillen Reserven nicht aufdeckende Übertragung von funktional wesentlichen Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens unter paralleler Anwendung von § 6 Abs. 3 und § 6 Abs. 5 EStG möglich sei. Die Privilegierungen der beiden Vorschriften stünden nach den Wortlauten gleichberechtigt nebeneinander und ein Rangverhältnis lasse sich auch nicht im Wege der Auslegung ermitteln. Hierdurch erfahren die durch die neue Finanzauffassung möglichen (praxisrelevanten) Gestaltungsmöglichkeiten eine höchstrichterliche Anerkennung, sodass (spätestens nunmehr) Umstrukturierungsoptionen offenstehen.