BFH: Fehlende Einkunftserzielungsabsicht bei Kapitaleinkünften


Urteil des BFH vom 9.7.2019 (Az.: X R 9/17), wann bei Kapitaleinkünften auf Privatvermögensebene eine fehlende Einkunftserzielungsabsicht überhaupt (nur) vorliegen kann.

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Die Abgeltungssteuer in ihrer jetzigen Grundform und damit auch den § 20 EStG in seiner jetzigen Form gibt es bekanntlich seit dem 1. Januar 2009. In ihrer Verlautbarung zu Einkünften aus Kapitalvermögen, dem sog. „Abgeltungssteuererlass“, vertritt die Finanzverwaltung seitdem die Auffassung, dass die Einkunftserzielungsabsicht bei Kapitaleinkünften vermutet wird (in Rn. 125). Insbesondere in den Konstellationen, in denen Kapitalanleger steueroptimierte Investitionsmuster verfolgen – wovon derzeit gegenläufige sog. Bull/Bear-Investments oder aber das sog. Couponstripping die prominentesten Beispiele sein dürften – versucht die Finanzverwaltung jedoch, die entsprechenden, von den Investoren intendierten steuerlichen Effekte unter dem Aspekt der (vermeintlich) fehlenden Einkunftserzielungsabsicht zu negieren. Teilweise billigen die Finanzgerichte – unter totaler Verkennung der Rechtslage – sogar diese Vorgehensweise.

Hintergrund

Ein jüngstes, prominentes Urteil zum sog. Couponstripping, (siehe dazu unseren Blogbeitrag) in dem ein Finanzgericht die Klage des Steuerpflichtigen unter Verweis auf die (vermeintlich) fehlende Einkunftserzielungsabsicht abwies, ist ein Urteil des FG Münster. Der 8. Senat des FG Münster führte mit Urteil vom 5.9.2019 – 8 K 2950/16 E (Revision beim BFH unter VIII R 36/19 anhängig) wörtlich zur Begründung, dass die Einkunftserzielungsabsicht gefehlt habe, in Rn. 102 ff. aus: „…Die Möglichkeit, Überschüsse zu erzielen, war nicht wahrscheinlich und erst recht nicht sehr wahrscheinlich. …“, gefolgt von langen Ausführungen zur geringen Wahrscheinlichkeit der Erzielung eines vorsteuerpositiven Ergebnisses aus den Kapitalanlagen und sogar gepaart mit konkreten Wahrscheinlichkeitsberechnungen.

BFH Urteil

Diese Ausführungen und Berechnungen sind jedoch alle bereits dem Grunde nach verfehlt. Das FG hat die Beweis- und Feststellungslast im vorliegenden Fall massiv verkannt. Dies belegen die Ausführungen des BFH im eingangs zitierten Urteil vom 9.7.2019 (s.o.).

Dort führt der BFH in Rn. 72 des Urteils wörtlich aus: „… Die mit der Abgeltungsteuer eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen bedingen zwar eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht (BFH-Urteil in BFHE 258, 240, BStBl II 2017, 1040, Rz 19). Die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht ist jedoch widerlegt, wenn ein positives Ergebnis einer Kapitalanlage in laufenden Erträgen oder Gewinnen i. S. § 20 Abs. 2 EStG auf Dauer von vornherein ausgeschlossen erscheint. Die praktische Unmöglichkeit, Marktentwicklungen zuverlässig vorherzusagen, kann insoweit nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen. Die Feststellungslast trifft das FA. Widerlegt wäre die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht etwa bei einem fest vereinbarten Negativzins (negative Einnahmen). Sind künftig positive Zinseinnahmen möglich, greift die Vermutung (Jachmann-Michel, DStR 2017, 1849, 1850 f.)…“ [Hervorhebungen durch den Verfasser]

Aus vorstehenden Ausführungen des BFH ergibt sich eindeutig, dass entsprechende Ansinnen seitens der Finanzämter oder der Finanzgerichte, die Einkunftserzielungsabsicht unter Zurhilfenahme von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen zu negieren, bereits dem Grunde nach verfehlt sind. Solange die Erzielung positiver Einkünfte aus dem jeweiligen Investment nicht ex ante definitiv zu 100 % ausgeschlossen ist, ist – mag die Wahrscheinlichkeit der Erzielung positiver Einkünfte aus dem Investment auch noch so gering sein, z. B. bei 1 % – zugunsten des Steuerpflichtigen vom Vorliegen der Einkunftserzielungsabsicht auszugehen.